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Offener Brief an Oberbürgermeister Johannes Fridrich

Nürtinger Initiativen und Verbände fordern Einrichtung coronasicherer Geh- und Radwege

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Johannes Fridrich,

die Coronakrise und die Kontaktbeschränkungen verändern die persönliche Mobilität aller Menschen in Deutschland deutlich. Während der private Autoverkehr stark zurückgegangen ist, sind – auch der Empfehlung des Bundesgesundheitsministers folgend – immer mehr Menschen auf dem Rad und zu Fuß unterwegs. Für diese spürbaren Veränderungen der Verkehrsmittelwahl ist die Raumaufteilung auf der Straße jedoch nicht ausgelegt. Damit der empfohlene Sicherheitsabstand auf der Straße eingehalten werden kann, braucht es daher dringend eine schnelle Veränderung der Aufteilung des Straßenraums.

Bürgerinnen und Bürger, die jetzt zum Schutz ihrer Gesundheit neu aufs Rad umsteigen, brauchen sichere und leicht erkennbare Wege. Auch zu Fuß gehende Menschen brauchen dringend mehr Platz auf den Gehwegen, um den Sicherheitsabstand einhalten zu können. Nur so können notwendige Wege sicher zurückgelegt werden. Auch bei der geplanten Wiederaufnahme des Schulbetriebs können überfüllte Busse und Eltern-Taxi-Staus nur vermieden werden, wenn sicheres und angstfreies Radfahren möglich ist und Eltern ihre Kinder guten Gewissens mit dem Rad zur Schule fahren lassen.

Wir bitten Sie daher: Richten Sie ein rad- und fußverkehrsfreundliches Straßennetz in und um Nürtingen ein. Wo der rechtliche Rahmen dies noch behindert, bitten wir Sie, sich auf Landes- und Bundesebene für die regulatorischen Rahmenbedingungen, entsprechende Leitfäden oder finanzielle Unterstützung einzusetzen damit Straßen schnell und unproblematisch umgestaltet werden können. Geben Sie als Stadtverwaltung das Signal, dass Verkehrspolitik ein wichtiger Beitrag für die Gesundheit der Menschen ist!

Die wichtigsten Maßnahmen dafür sind in Nürtingen:

  • Gehwege temporär verbreitern: Wo Fußwege zu schmal sind, sollten sie durch Abmarkierungen auf den Fahrbahnen erweitert werden. Auch das Verlegen von Parkplätzen von den Fußwegen auf die Fahrbahnen hilft schnell und einfach, um Fußwege zu verbreitern. Besonders betroffen sind Gehwege vor Geschäften an denen sich wegen Einlassbeschränkungen und Abstandsvorschriften Warteschlangen bilden. Dies betrifft in Nürtingen zum Beispiel die Kirchheimer Straße. Nicht nur dort können die Parkplätze vor den Geschäften als Aufstellort für Warteschlangen genutzt werden. Zu wenig Platz bietet auch der Geh- und Radweg im Saubachtunnel. Dieser könnte unter Umständen mit Gerüsten und Materialien zur Baustelleneinrichtung temporär verbreitert werden.
  • Märkten unter freiem Himmel mehr Platz geben: Wochenmärkte sollten auf angrenzende Flächen wie Straßen oder Parkplätze erweitert werden, um genügend Raum für Warteschlangen mit Abstand zu schaffen. Damit werden die Märkte doppelt pandemie-gerecht: geringere Ansteckungsgefahr an der frischen Luft und ausreichend Abstand zwischen den Marktbesuchern. Zum Beispiel kann der Nürtinger Wochenmarkt auf umliegende Flächen ausgedehnt werden, wie etwa die fertig umgebauten Bereiche Richtung Schillerplatz, in die Stroh/Lampertstraße oder in Richtung Stadtkirche.
  • Temporäre Radstreifen auf der Fahrbahn: Wo Radverkehr derzeit gemischt mit Fußverkehr geführt wird, kann er auf die Fahrbahn verlegt werden, damit Platz auf Fußwegen geschaffen wird. Dazu eignen sich sowohl temporäre Radstreifen als auch die Einrichtung von temporären Fahrradstraßen. Diese helfen auch umsteigenden Neu-Radfahrenden, sichere Wege durch die Stadt zu finden. Temporäre Radstreifen können auf den mehrspurigen Abschnitten der Bahnhof-, Steinengraben- und Neuffener Straße angelegt werden und zusammen mit der restlichen Neuffener Straße sicheren Radverkehr in Nürtingen ermöglichen. Auf den schmalen Wegen am Neckarufer und im Tiefenbachtal ist es an Sonn- und Feiertagen oft unmöglich Abstand zu halten. Zur Entlastung dieser Strecken und zum Schutz der zu Fuß gehenden kann der Radverkehr auf parallelen Straßen geführt werden.
  • Straßen für den Rad- und Fußverkehr öffnen und den Verkehr beruhigen: Die Umwandlung ausgewählter Straßen in Zonen mit stark reduziertem motorisiertem Verkehr schafft zusätzlichen Platz und Verkehrssicherheit. Maßnahmen wie der Einsatz modaler Filter oder Verengungen der Fahrbahn können kurzfristig Wirkung zeigen. So können sich Radverkehr und zu Fuß gehende Menschen bestmöglich auf der Straße verteilen und Bewegung vor der Tür ohne Ansteckungsgefahr wird möglich. Zum Beispiel können in engen Wohngebieten wie Klein-Tischhardt oder der Kirchheimer Vorstadt solche Maßnahmen umgesetzt werden. In der baustellenbedingt unterbrochenen Wilhelmstraße ist das heute schon möglich.
  • Grünphasen für nicht-motorisierten Verkehr verlängern und „Bettelampeln“ umprogrammieren: Da aktuell deutlich mehr Menschen auf Fahrrädern und zu Fuß unterwegs sind, braucht es für sichere Kreuzungssituationen mehr Zeit in den Grünphasen. Durch längere Grünphasen bzw. eine Vorrangschaltung für Rad- und Fußverkehr wird das Berühren des Ampelknopfes sowie das Bilden von Gruppen, die auf Grün warten, vermieden. Zum Beispiel sollten die Ampelschaltungen am belebten Innenstadtring und an weiteren Kreuzungen wie Kirchheimer Straße / Im Inneren Bogen dem veränderten Verhältnis von Kraftverkehr zu Fuß- und Radverkehr Rechnung tragen.
  • Temporäre Geschwindigkeitsreduktion: Korridore mit Tempo 30 reduzieren die Unfallgefahr und bewirken dadurch auch Entlastung von Krankenhäusern. Wenn der rechtliche Rahmen von Bundes- und Landespolitik angepasst wird, kann zum Beispiel auf dem Innenstadtring Tempo 30 eingeführt werden.

Nicht nur in Nürtingen, sondern auch bundes- und landesweit fordern zahlreiche Initiativen und Verbände coronasichere Rad- und Gehwege. Entsprechende offene Briefe gingen in den letzten Tagen an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und den badenwürttembergischen Minister für Verkehr Winfried Hermann.

Mit freundlichen Grüßen

Critical Mass Nürtingen, Sophie Gasser, Michael Jäger
Verkehrsclub Deutschland (VCD), KV Esslingen e.V., Rolf Epple
BUND Ortsgruppe Nürtingen, Christian Tilk
Fridays for Future Nürtingen, Wiyanna Markowis
ADFC Kreisverband Esslingen, Eberhard Grille
Forum Zukunftsfähiges Nürtingen, Thomas Oser

Weiterführende Links:

Beispiele aus anderen Städten
Hintergrund
Anhang

1. Breitere Gehwege:

Nicht nur in der Kirchheimer Straße können Parkplätze vor Geschäften als Aufstellort für Warteschlangen genutzt werden, welche wegen Einlassbeschränkungen (z.B. zwei, vier oder acht Personen) entstehen.

Alternativ könnte in der Kirchheimer Straße der stadteinwärtige Kfz-Verkehr auf der südlichen Fahrbahn (heute stadtauswärts) geführt werden und die Parkplätze an der Nordseite so weit nach Süden verschoben werden, dass die verbleibende Fahrbahn breit genug für Radverkehr in Gegenrichtung (stadtauswärts) bleibt. Dabei müssten keine Parkplätze entfallen, sie werden einfach nach Süden verschoben:

Visualisierung der Kirchheimer Straße mit mehr Platz für Warteschlangen

Zu wenig Platz bietet auch der Geh- und Radweg im Saubachtunnel. Dieser könnte unter Umständen mit Gerüsten und Materialien zur Baustelleneinrichtung temporär verbreitert werden. In jedem Fall kann der Zugang vom ZOB her verbreitert werden, indem der Parkplatz direkt vor dem Tunnel aufgehoben und dem Geh- und Radweg zugeschlagen wird:

Grobe Visualisierung eines großzügigeren Westportals des Saubachtunnels

2. Temporäre Radstreifen auf der Fahrbahn

2.1 Für den Alltagsverkehr können zum Beispiel im Zuge der mehrspurigen Bahnhofstraße – Bahnunterführung – Amtsgericht – Neuffener Straße bis Werastraße temporäre Radstreifen geschaffen bzw. bestehende Streifen verbreitert werden.

Skizze der möglichen temporären Radstreifen auf mehrspurigen Straßen

Südlich davon sollte die Neuffener Straße, wenigstens während der Bauarbeiten, den Anwohnern sowie dem Rad- und Fußverkehr vorbehalten bleiben. Dies kann mit einem Modalen Filter auf Höhe Ersbergstraße erreicht werden. Der Durchgangsverkehr mit Kfz sollte via Wera-, Gerber-, Max-Eyth- und Schulze-Delitzsch-Straße umgeleitet werden. Nicht nur für Neu-Radfahrende entsteht damit eine attraktive, sichere und angstfrei zu befahrende Nord-Süd-Achse mit überörtlichem Anschluss via Sigmaringer Straße, Alleenstraße und Oberboihinger Straße sowie ins Neuffener Tal.

aktuelle Regelpläne der Berliner Senatsverwaltung für temporäre Radstreifen

Für einen Wiederanlauf des Schulbetriebs kann diese Achse ein wichtiger Baustein gegen überfüllte Busse sein. Nur mit attraktiven, sicheren und angstfreien Schulradwegen können Eltern davon überzeugt werden, ihre Kinder mit dem Rad in die Schule zu schicken, statt sie mit dem PKW zu bringen. Das entlastet die Eltern, die Straßen, die Busse und fördert die Gesundheit der Schüler.


Visualisierung eines temporären Radstreifens in der Steinengrabenstraße zur Entlastung des Fußwegs

Da sich in Berlin bereits zeigt, dass selbst Radstreifen zum Seuchenschutz zum Falschparken missbraucht werden, halten wir eine Überwachung durch die Polizei (Behinderung bzw. Gefährdung des fließenden Radverkehrs) und das Ordnungsamt der Stadt Nürtingen für notwendig, um möglichen Missverständnissen und Uneinsichtigkeiten von Falschparkern vorzubeugen.

Visualisierung eines temporären Radstreifens in der Bahnhofstraße

2.2 Auf den schmalen Wegen am Neckarufer und im Tiefenbachtal ist es an Sonn- und Feiertagen oft unmöglich Abstand zu halten. Zur Entlastung dieser Strecken und zum Schutz der zu Fuß gehenden kann der Radverkehr auf parallelen Straßen geführt werden.

Skizze des Führungsvorschlags für den Radverkehr (hellblau) im Zuge des Neckartalradwegs an Sonntagen

Dazu sollte der Radverkehr entlang des Neckars von Norden her via Au-, Schlosser-, Weber- und Mühlstraße zur Stadtbrücke geführt werden. Die Fahrbahnen der Mühlstraße (nördlich der Europastraße) sowie der Alleenstraße (Stadtbrücke bis Steinachstraße) sollten dem Radverkehr vorbehalten bleiben. Auf der restlichen Mühlstraße (Europastraße bis Stadtbrücke) kann ein temporärer Radstreifen eingerichtet werden. Zur Entlastung des Neckaruferwegs südlich der Stadtbrücke könnte an diesen Tagen eine Spur der B313 zwischen Stadtbrücke und Wörthbrücke abgetrennt werden, um den Radverkehr via Millotstraße zu führen.

Alleenstraße: Belebter Radweg am Neckarufer am Ostersonntag – die breite Fahrbahn daneben würde ausreichenden Abstand ermöglichen

Auch im Tiefenbachtal ist es an Sonn- und Feiertagen auf den schmalen Wegen oft zu eng. Dort kann die Tiefenbachstraße für den Rad- und Fußverkehr reserviert werden. Entsprechende Pläne des MoA-Tags können dafür genutzt werden.

3 Antworten auf „Offener Brief an Oberbürgermeister Johannes Fridrich“

„Bettelampeln“ sind Ampeln an einer Kreuzung, bei denen es für den Fuss- und Radverkehr nur dann Grün gibt, wenn vorher ein Knopf gedrücktwurde. In Nürtingen gibt an vielen Kreuzungen „Bettelampeln“, zum Beispiel an der Kreuzung beim Amtsgericht oder bei den Kreuzungen am Innenstadtring.

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